Brandbrief: Rettet die Musik!

*Dieser Beitrag wurde automatisch übernommen und ist keine Veröffentlichung der LAK Bremen.*

Offener Brief und Forderungen von Studierendenschaften  der deutschen Musikhochschulen

Wir fordern:

Aufstockung der Musikhochschulen in Ausstattung, Räumlichkeiten und Personal!Transparente Bewertungen: Studierende als Beisitzer*innen in künstlerischen Prüfungen verpflichtend einsetzen!Verbindliche Evaluation und Beschwerdestellen: Anonym und für alle Lehrveranstaltungen!Internationalen künstlerischen Austausch fördern: Abschaffung von Studiengebühren für Studierende aus dem Nicht-EU-Ausland!Entbürokratisierung der finanziellen Organisation freischaffender Musiker*innen und Musikstudierender!Stellenauf-, statt Stellenabbau in der Musikbranche!Stellenwert von Kultur anerkennen: Rechtzeitiges Einbeziehen der Kultureinrichtungen und Musikhochschulen bei Planung von Öffnungsschritten!Finanzielle Unterstützung von freien Ensembles und Solokünstler*innen: Staatliche Projektförderungen ausbauen!

Rettet die Musik!

Das letzte Jahr hat das gesellschaftliche Leben in eine Schieflage gebracht. Durch die langfristigen Auswirkungen der Pandemie wurden soziale, ökologische und ökonomische Ungleichheiten sichtbarer und wachsen ins Extreme. Die Kunst und Kultur trifft dies mit besonderer Härte – ein Bereich, auf den man am ehesten verzichten wollte, der vor allen anderen Einrichtungen schließen musste, bei dem Hilfen viel zu spät kamen oder bis heute ausblieben und der, nach wie vor, bei allen Öffnungsgedanken auf dem letzten Platz landet. Ein großes Angebot kostenloser oder -günstiger Musik, Literatur etc. wird von Vielen besonders in Zeiten der Pandemie ganz selbstverständlich genutzt, ohne sich der Arbeit, der Menschen und der Kosten dahinter bewusst zu sein.

Das hat zunächst gravierende Folgen für die Strukturen innerhalb der Branche und die betroffenen Künstler*innen, doch auch gesamtgesellschaftlich fehlen Kunst, Musik und Theater als Orte des künstlerischen Austauschs und politischen Diskurses. Immer wieder wurde auf die Probleme dieser Branche aufmerksam gemacht, eine Gruppe wird jedoch vollkommen vergessen und bleibt in der öffentlichen Debatte um Kunst und Kultur außen vor: Wir, die Musikstudierenden. Wir, die eigentlich damit beschäftigt sein wollten und sollten, unser Handwerk zu erlernen und unsere künstlerische Aussagekraft weiter zu entwickeln. Stattdessen müssen wir dabei zusehen, wie nicht nur unsere Ausbildung, sondern auch der dazugehörige zukünftige Arbeitsmarkt zu zerfallen droht.

Das Ausbleiben von Aufträgen bedeutet für uns nicht nur ein fehlendes Einkommen zur Finanzierung des Studiums, sondern auch fehlende neue Kontakte. Der Aufbau eines guten Netzwerks spielt für junge Musiker*innen bereits im Studium eine große Rolle und macht einen Einstieg ins Berufsleben erst möglich. Zusätzlich geht damit die auch die Möglichkeit verloren, Auftrittserfahrungen zu sammeln und routinierte Abläufe zu proben. Auch dies ist für Musikstudierende normalerweise Alltag und ein zentraler Bestandteil des Studiums. Mit dem Ausbleiben selbst hochschulinterner Konzerte oder Möglichkeiten des Zusammenspiels fällt auch dieser Kernbestandteil der Ausbildung für die meisten von uns ersatzlos weg. Mit diesem Brandbrief wollen wir Musikstudierenden anprangern, wie viel im letzten Jahr schiefgelaufen ist. Um die Musik zu retten, muss sich etwas ändern!

Aufstockung der Musikhochschulen in Ausstattung, Räumlichkeiten und Personal!

Wir lassen uns nicht mit dem baldigen Ende der Pandemie vertrösten, es muss grundlegende und strukturelle Änderungen im System geben. 

Neben mangelndem Unterricht fehlt uns vielerorts die Möglichkeit zu üben. Schon vor der Pandemie fehlte es an Räumlichkeiten und Ausstattung an den Musikhochschulen, insbesondere auch beim Personal. 

Geeignete Räumlichkeiten sollten etwa über eine gute Akustik und Dämmung verfügen. Durch die Coronapandemie ist der Zugang zu Übungsräumen stark eingeschränkt. Zuhause zu üben ist kaum möglich – sei es aufgrund fehlender Instrumente oder Beschwerden der Nachbarschaft im Home-Office. Das regelmäßige Üben ist für uns jedoch keine erbauliche, verzichtbare Nebenbeschäftigung, sondern der einzige und notwendige Weg, um Fähigkeiten zu erlernen, zu verbessern und in der Branche zu bestehen.

Um Musikstudiengänge in Deutschland langfristig zu erhalten, bedarf es einer besseren Ausstattung der Hochschulen, räumlich wie auch personell.  

Transparente Bewertungen: Studierende als Beisitzer*innen in künstlerischen Prüfungen verpflichtend einsetzen!

Den meisten von uns fehlt die technische Ausstattung für Ton- und Bildaufnahmen. Diejenigen, die sich kein Mikrophon mit sehr guter Tonqualität und schnelles Internet leisten können, sind im Nachteil, allem voran, wenn es um die Bewertung von digital erbrachten Prüfungsleistungen oder Aufnahmeprüfungen geht. Da die Tonqualität großen Einfluss auf die Bewertung hat, wird so die soziale Ungleichheit unter den Musikstudierenden extrem verstärkt. Zudem ist die finanzielle Lage von Musikstudierenden durch fehlende Einnahmequellen, wie Auftrittsmöglichkeiten, Unterrichtstätigkeiten und studentische Nebenjobs prekär.

All diese Probleme werden sich nicht mit dem Ende der Pandemie in Luft auflösen, da ihre Ursachen weit vor der Pandemie liegen. Durch die aktuelle Krise werden sie allerdings vielfach verstärkt: die Beurteilung von künstlerischen Prüfungen und Aufnahmeprüfungen ist generell sehr subjektiv und stark von der jeweiligen Kommission abhängig. Willkürliche oder unzutreffende Beurteilungen können im Nachhinein selten von den Studierenden eingesehen oder nachvollzogen werden. Um diesem Machtgefälle entgegenzuwirken und für mehr Transparenz bei der Bewertung zu sorgen, fordern wir Studierende als Beisitzer*innen in Prüfungen.

Verbindliche Evaluation und Beschwerdestellen: Anonym und für alle Lehrveranstaltungen! 

Vor allem der Unterricht im instrumentalen- oder vokalen Hauptfach hat sich durch pandemiebedingte Einschränkungen, allem voran fehlender Präsenzlehre, maßgeblich und vielleicht nachhaltig verändert. Dies bedeutet unter Umständen massiven Qualitätsverlust für Musikstudierende in Lernen und Lehre. Möglichkeiten der anonymen, regelmäßigen Lehrevaluation sind kaum gegeben. Viele Lehrende nehmen sich, auch unter normalen Umständen, einen großen individuellen Spielraum in ihrer Unterrichtsgestaltung und -häufigkeit heraus, der in der Regel von den Dekanaten nicht kontrolliert wird. 

Studierende trauen sich auf Grund des starken Abhängigkeitsverhältnisses zu ihren Lehrenden im Einzelunterricht häufig nicht, Beschwerden einzureichen oder das Gespräch mit ihren Lehrenden zu suchen. Die Angst, nach öffentlicher Kritik an Lehrenden im Studium oder dem Berufseinstieg benachteiligt zu werden, ist weit verbreitet. Wir fordern die Möglichkeit einer anonymen Lehrevaluation sowie anonyme Beschwerdestellen.

Internationalen künstlerischen Austausch fördern: Abschaffung von Studiengebühren für Studierende aus dem Nicht-EU-Ausland!

Die Ungleichheit unter den Studierenden wird weiterhin auch durch die fehlende finanzielle Unterstützung befeuert. 

Vor allem internationale Studierende aus dem Nicht-EU-Ausland leiden unter der finanziellen Last. Sie dürfen oft nicht arbeiten, haben meist keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung, müssen aber an einigen Hochschulen zusätzliche Studiengebühren zahlen. Wir fordern eine Gleichbehandlung aller Studierenden in Deutschland und somit die bundesweite Abschaffung von Studiengebühren für Studierende aus dem Nicht-EU-Ausland. 

Entbürokratisierung der finanziellen Organisation freischaffender Musiker*innen und Musikstudierender! 

Der andauernde Lockdown trifft die freischaffenden Musiker*innen und Musikstudierenden besonders hart[1]. Fast alle Einnahmequellen sind weggefallen. Sobald Freischaffende jedoch einen anderen Job ausüben, verlieren sie ihre soziale Absicherung in der Künstlersozialkasse. Nicht erst seit der Pandemie leben die Freischaffenden steuerlich, versicherungstechnisch und mit Blick auf ihre Rente in prekären Verhältnissen. 

Jede Steuererklärung, jeder Antrag auf Hilfe wie beispielsweise Wohngeld wird zum bürokratischen Monster, das alle Beteiligten viel Zeit und Nerven kostet, dem Staat aber in der Regel nicht einmal nennenswerte Einnahmen verschafft. Kein Wunder, dass auch gut gemeinte Hilfen kaum die sehr komplexen Lebensverhältnisse der Künstler*innen treffen[2]. Um die Lage aller Künstler*innen zu verbessern, fordern wir einen unbürokratischen Zugang zu den Überbrückungshilfen, sowie eine grundsätzliche Entbürokratisierung der finanziellen Organisation von freiberuflichen Musiker*innen. Corona muss ein Weckruf sein. Hochqualifizierte Musiker*innen dürfen diesen prekären Verhältnissen nicht weiter zum Opfer fallen[3]

Stellenauf-, statt Stellenabbau in der Musikbranche!

Die institutionelle Verankerung von Kunst und Kultur ist auch für Musikstudierende enorm wichtig, nicht nur, wenn es um eine finanziell und sozial abgesicherte berufliche Zukunft geht. Kooperationen von Musikhochschulen etwa mit Konzert- und Opernhäusern haben im Musikstudium einen hohen Stellenwert. Es gilt diese staatlichen Förderungen nicht nur zu erhalten, sondern auszuweiten: Wir fordern keinen weiteren Stellenabbau in Orchestern und an Konzerthäusern. Stattdessen muss es mehr feste Stellen geben. 

Stellenwert von Kultur anerkennen: Rechtzeitiges Einbeziehen der Kultureinrichtungen und Musikhochschulen bei Planung von Öffnungsschritten!

Ein Musikstudium unterscheidet sich maßgeblich von wissenschaftlichen Studiengängen. Der Fokus liegt hier ganz auf dem Instrument oder der Stimme und damit auf Ton, Klang und Gehör. Diese ästhetische und körperliche Praxis kann durch digitale Lehrformate in fast keinem Fall die Präsenzlehre ersetzen. Präsenzunterricht ist unter den gegebenen Umständen jedoch kaum möglich. Der pandemiebedingte Ausfall des Gruppen- und Einzelunterrichts führt zu einem Rückfall der künstlerischen Leistungen, die für ein Bestehen in dem sehr umkämpften und leistungsorientierten Musikmarkt unabdingbar sind. Zudem existieren bundesweit, aber auch innerhalb der Hochschulen extreme Unterschiede in Quantität und Qualität der Lehre. So haben wir zum Teil mit Verweigerungen von Unterricht oder fortschreitender Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt zu kämpfen. Dies wird mancherorts durch schlechte Kommunikation und wenig Transparenz über die ergriffenen Maßnahmen verstärkt. 

Finanzielle Unterstützung von freien Ensembles und Solokünstler*innen: Staatliche Projektförderungen ausbauen!

Zu all dem gesellt sich der äußerst deprimierende Blick auf unsere zukünftige Berufswelt; Erfahrungsberichte von zukünftigen Kolleg*innen führen uns vor Augen, wie wenig Wert ihnen in Politik und Gesellschaft beigemessen wird. Selbst die wenigen vorhandenen Stellen in Orchestern und festen Ensembles an Opern- und Konzerthäusern sind gefährdet und werden für die meisten Absolventen*innen nur ein Traum bleiben. Zu viele Bewerber*innen – zu wenige Stellen. Die meisten Musikstudierenden bereiten sich mit diesem Wissen also auf die Selbstständigkeit vor. Nicht selten handelt es sich dabei um Arbeit als Solokünstler*in oder in freien Ensembles. 

Um diesen Berufszweig und damit auch die reiche Kulturlandschaft nachhaltig zu erhalten, bedarf es einem Ausbau staatlich finanzierter Strukturen, wie beispielsweise Projektförderungen freier Ensembles. Nur so kann die kulturelle Szene in Deutschland in ihrer Vielfalt langfristig am Leben erhalten werden.

[1] https://freo.online/corona-pandemie/ 

[2] https://www.dov.org/presse_meldungen/verlaengerter-lockdown-freischaffende-besser-absichern

[3] https://www.landesmusikrat-berlin.de/fileadmin/presse/2021/2021-01-25_Pressemitteilung_Umfrage_und_Konferenz_Freischaffende.pdf

Initiator*innen:

Studierendenvertretung Hochschule für Musik und Theater Leipzig Studierendenvertretung
Hochschule für Künste Bremen
fzs – freier zusammenschluss von student*innenschaften

Unterstützer*innen:

Allgemeiner Studierendenausschuss  und Studentenparlament der Hochschule für Musik Saar Saarbrücken

Allgemeiner Studierendenausschuss  der Hochschule für Musik Trossingen

Studierendenrat der Hochschule  für Musik und Theater Rostock

Studierendenvertretung der Hochschule für Musik und Theater München

Allgemeiner Studierendenausschuss  der Hochschule für Künste Bremen

AStA der Hochschule für Musik  und Darstellende Künste Frankfurt am Main

Studierendenrat der Hochschule  für Musik und Theater Leipzig

Studierendenvertretung  der Hochschule für Musik  Würzburg

Allgemeiner Studierendenausschuss  der Folkwang Universität der Künste  Essen

Allgemeiner Studierendenausschuss  der Hochschule für Musik und Tanz Köln

Allgemeiner Studierendenausschuss  der Hochschule für Musik und Darstellende Künste Stuttgart

Allgemeiner Studierendenausschuss  der Hochschule für Musik Freiburg

Allgemeiner Studierendenausschuss der Musikhochschule Lübeck

Allgemeiner Studierendenausschuss der Hochschule für Musik,  Theater und Medien Hannover

Allgemeiner Studierendenausschuss der Hochschule für Musik und Theater  Hamburg

Allgemeiner Studierendenausschuss  der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin

Studierendenrat der Hochschule  für Musik Carl Maria von Weber Dresden

Studierendenrat der Hochschule  für Musik Franz Liszt Weimar