Offener Brief: Student*innen vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt schützen

*Dieser Beitrag wurde automatisch übernommen und ist keine Veröffentlichung der LAK Bremen.*

Belästigung, Aufnahmen mit Mikrokameras, Voyeurismus und Sexismus an Hochschulen

Immer wieder und bundesweit gibt es Fälle von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen. Hochschulleitungen, Dozentinnen und Campus-Security sind oft überfordert. Es wurden Fälle von Upskirting, (Film-)Aufnahmen in Toiletten, Machtmissbrauch und sexualisierte Belästigung von Studierenden durch andere Hochschulangehörige (von Erstsemester-Tutorinnen bis hin zu Professor*innen) bekannt. Diese Vorfälle können nicht als Einzelfälle betrachtet werden.

Sie als Hochschulleitung und -verwaltung verkörpern eine Schlüsselposition und können strukturelle Veränderungen anregen, fördern und evaluieren. Sie haben die Möglichkeit hochschulinterne Prozesse normativ und strategisch zu gestalten. Wir möchten Sie mit diesem Papier auf Problemstellungen hinweisen, die so in jeder deutschen Hochschule immer wieder auftreten können. Wir gehen im Folgenden auf einige Handlungsoptionen ein, die in verschiedenen Bereichen und für verschiedene Statusgruppen umgesetzt werden können.

Sexualisierte Grenzüberschreitung, Diskriminierung und Gewalt findet immer noch in einem Klima der Vereinzelung und Tabuisierung statt und stellt ein strukturelles Problem dar. Vorfälle werden oftmals verschwiegen oder werden nicht ausreichend mit zuständigen Stellen kommuniziert. Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt basiert in der Hochschule vor allem auf Machtverhältnissen zwischen und innerhalb der Statusgruppen, aber auch auf Geschlecht.

Durch klare Maßnahmen, die allen Hochschulangehörigen bekannt sind, kann eine Thematisierung von sexualisierter Gewalt und Diskriminierung gestärkt werden, die das Greifen von etablierten Maßnahmen und Anlaufstellen in den Hochschulen fördert.

Staatliche Schutzpflichten und Lernort Hochschule

Staatliche Schutzpflichten werden einerseits durch das Strafrecht gewahrt, andererseits ist dies im Hochschulkontext nur in Extremfällen gegeben. Hochschulen sollten schon viel früher einschreiten, um dem staatlichen Bildungsauftrag entsprechen zu können. Der Gesetzgeber hat dafür gleichbehandlungs- und antidiskriminierungsrechtliche Grundlagen geschaffen, die insbesondere in Verbindung mit den Hochschulgesetzen auch für Student*innen anwendbar sind.

So haben Kocher und Porsche 2015 in einer von der Antidiskrimierungsstelle des Bundes in Auftrag gegebenen Expertise herausgearbeitet, dass u.a.

Studierende an öffentlich-rechtlichen wie auch an privaten Hochschulen (in Verbindung mit § 19 AGG) sind über das Verbot diskriminierender Belästigung nach § 3 Abs. 3 AGG geschützt, denn der sachliche Anwendungsbereich des AGG erstreckt sich nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 AGG auch auf den Bereich der „Bildung“. Dieser erfasst wiederum in unionsrechtlicher Auslegung auch das Hochschulstudium.

Damit gilt das Verbot diskriminierender Belästigung nach § 3 Abs. 3 AGG sowohl für die privaten als auch für die öffentlich-rechtlichen Hochschulen zum Schutz von Studierenden. Zugleich finden die Regelungen der Beweislasterleichterung (§ 22 AGG) und zur Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände (§ 23 AGG) auch im Hochschulkontext Anwendung.

§3 Abs. 4 AGG zum direkten Schutz vor sexueller Belästigung gilt allerdings lediglich für die Beschäftigten einer Hochschule, nicht aber für deren Studierende. Die Anforderungen zur Erfüllung des Tatbestandes nach §3 Abs. 3 AGG (diskriminierende Belästigung) sind höher als die nach §3 Abs. 4 AGG. Zusätzlich zur Würdeverletzung muss hier ein feindliches Umfeld gegeben sein. Somit stellt die Nichtanwendbarkeit von §3 Abs. 4 AGG für Studierende privater Hochschulen eine enorme Schutzlücke dar.

Auch aus dem Grundgesetz lässt sich ein Diskriminierungsschutz für den Hochschulbesuch ableiten. Studierenden muss so nicht nur der Schutz gegenüber Repräsentant*innen der Hochschulen gewährt werden, sie müssen weiterhin auch vor der Diskriminierung durch Kommiliton*innen geschützt werden. Somit ist insgesamt eine gesetzliche Grundlage für alle Bundesländer geschaffen worden, auf die sich alle Hochschulangehörigen beziehen können.

Hochschulen sollen ein Ort des Lernens sein. Lernen können wir aber nur, wenn wir uns sicher und geschützt fühlen. Deswegen fordern wir alle Hochschulangehörigen auf, Schutzstandards zu etablieren und gegen jegliche Form der sexualisierten Diskriminierung und Gewalt Stellung zu beziehen. Es darf dabei nicht bei Absichtserklärungen bleiben. Die Hochschulen, alle Einrichtungen, alle Angestellten und Lehrpersonen müssen ein Umfeld schaffen, in dem besonders weibliche, queere und Student*innen mit Trans- und Interidentitäten geschützt werden.

Interventionsmöglichkeiten

Wir fordern alle Hochschulen auf, allgemeingültige, hochschulweite Vereinbarungen gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt zu stärken bzw. einzusetzen. Diese müssen für alle Hochschulangehörigen gelten bzw. sind bei Betreten des Campus gültig, um ein Handeln bei Zuwiderhandlung seitens der Hochschulen unabhängig der Strafverfolgungsbehörden zu ermöglichen. Eine Selbstverpflichtung ist seitens der Student*innen und Beschäftigten bei Immatrikulation bzw. Vertragsunterzeichnung unterschreiben zu lassen.
Insgesamt müssen alle Hochschulen wirkmächtige Richtlinien gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt etablieren, die den Hochschulen ein Handeln ermöglichen, wenn die Regeln eines respektvollen Zusammenlebens, Lernens und Diskutierens nicht akzeptiert werden. Diese Richtlinien befähigen Hochschulen im Sinne des Hausrechtes handlungsfähig zu bleiben und den Schutz der betroffenen Hochschulangehörigen vollumfänglich durchzusetzen.

Es müssen Gleichstellungsbeauftragte aus allen Statusgruppen vorhanden sein, die vertraulich ansprechbar sind. Noch immer haben insbesondere Student*innen Angst vor schlechten Noten und anderen Formen von Repressionen, besonders, wenn es zu Belästigungen in ihren Fachbereichen/ Fakultäten kommt. Diese Sicherheit muss aber auch für Beschäftigte stärker kommuniziert werden. Nur die Aussicht, dass eine Meldung keine negativen Auswirkungen auf Noten oder die wissenschaftliche Karriere haben kann, wird einem Kulturwandel den nötigen Schub verleihen. Weiterhin sollte die „Peer-to-Peer“ Beratung durch Studierende für Studierende in den einzelnen Fachbereichen und Fakultäten gefördert werden.

Zudem müssen formelle und informelle Hilfsnetzwerke innerhalb und außerhalb der Hochschule gestärkt werden und die Zusammenarbeit mit studentischen Gremien und Initiativen muss zielorientiert stattfinden. Hierfür müssen universitäre Sach- und Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. Hochschulinterne und -externe Beratungsangebote müssen enger zusammenarbeiten, damit Betroffene selbst entscheiden können, welche Angebote sie wahrnehmen möchten und die Fallbearbeitung muss interprofessionell und organisationsübergreifend gestaltet werden.

Es muss fortwährend in die Schulung der Tutor*innen, Dozent*innen, Professor*innen und Mitarbeiter*innen der Hochschulen investiert werden, um ein sicheres Lernen für Alle zu ermöglichen. Hochschulen als große gesellschaftliche Einrichtungen tragen dabei maßgeblich zum gesellschaftlichen Kulturwandel bei, welcher auch innerhalb der Organisationen ablesbar werden muss. Alle Hochschulen müssen einen Kulturwandel möglich machen, so dass Sexismus und Diskriminierung effektiv bekämpft werden können. Dieser Prozess ist langwierig und muss normativ, strategisch und operativ in die Organisationsentwicklung Einzug halten. Hochschulen müssen als gesellschaftliche Leuchttürme fungieren, indem sie sensibel auf die Bedürfnisse der Lernenden und Mitarbeitenden eingehen und die Selbstbestimmungsrechte der Hochschulangehörigen aktiv schützen. Dabei sollen Formen der Mehrfachdiskriminierung (etwa aufgrund von (sozialer) Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe, Alter, Behinderung, Religion etc.) besonders beachtet werden und inklusiv bearbeitet werden.

Inhalte solcher Schulungen könnten etwa sein:
Was ist sexualisierte Diskriminierung und Gewalt?
Welche Formen von sexualisierte Diskriminierung und Gewalt gibt es und welche Formen treten im Hochschulkontext besonders häufig auf?
Wie kann sexualisierte Diskriminierung und Gewalt erkannt werden?
Wie kann sexualisierte Diskriminierung im digitalen Raum erkannt werden und in welchen Formen tritt sie auf?
Wie kann sexualisierte Diskriminierung und Gewalt verhindert werden?
Was kann ich im konkreten Fall tun?
Welche hochschulinternen und-externen Einrichtungen gibt es? Wer sind die Ansprechpartner*innen? Welche Rechte haben Student*innen und Beschäftigte der Hochschulen?

Um die Bemühungen der Hochschulen und ihrer Institutionen sichtbar zu machen, braucht es umfangreiche und offensive Informationskampagnen, die über gesellschaftliche Grundlagen und Auswirkungen von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt aufklären. Diese Informationen müssen Einzug in die normative Ausrichtung der Hochschulen halten und vielfältig gestaltet werden. Hier ist es wichtig, dass sexualisierte Diskriminierung und Gewalt als Querschnittsthema behandelt wird und auch in Forschung und Lehre thematisiert und behandelt wird.

Bei all diesen Prozessen muss eine Beteiligungskultur von Studierenden, in Form von Studierendenvertretungen und deren Repräsentant*innen, geschaffen werden. Nur wenn alle Statusgruppen der Hochschulen involviert werden, kann ein Hochschulwesen ohne sexualisierte Diskriminierung und Gewalt etabliert werden.

Es müssen zudem von den Landesregierungen, sowie durch die Bundesregierung, Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden, damit die Hochschulen die personellen und etwa baulichen Voraussetzungen ermöglichen können. Lediglich projektbasierte Stellen verschärfen gesellschaftliche Machtverhältnisse und verhindern einen nachhaltigen Kulturwandel. Es müssen Mittel zur Einrichtung von Panikknöpfen bzw. eines Hausnotruf geschaffen werden, die Toiletten müssen so eingerichtet, werden, dass die Privatsphäre geschützt bleibt.

Hochschulen müssen ein sicherer Lernort sein, um allen einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung zu gewährleisten. Damit ein solcher Ort entsteht müssen alle Akteur*innen zusammenarbeiten und Maßnahmen ineinander greifen.

Erstunterzeichner*innen

Bukof – Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen

KSS – Konferenz sächsischer Studierenden

LandesAStenKonferenz Hessen

LandesAStenKonferenz Rheinland-Pfalz

LandesAStenTreffen NRW

LandesAStenKonferenz Niedersachen

AStA Uni Potsdam

AStA Uni Hamburg

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