Positionierung zum Ordnungsrecht an Hochschulen

*Dieser Beitrag wurde automatisch übernommen und ist keine Veröffentlichung der LAK Bremen.*

Auf seiner Sitzung am 03.05.2024 hat der Ausschuss der Student*innenschaften nach ausführlicher Erörterung folgende Positionierung zur Wiedereinführung eines Disziplinarrechts an Berliner Hochschulen beschlossen.

Einleitung

Seit dem antisemitischen Angriff auf einen Studenten einer Berliner Hochschule, werden die Rufe nach einem Wiedereinführen des Ordnungsrechtes im Berliner Hochschulgesetz immer lauter. So forderten nicht nur studentische Organisationen, sondern auch die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger, nach dem 2021 aus dem Berliner Hochschulgesetzes gestrichenen Ordnungsrecht. Anfang Januar wurde der jüdische Student Lahav Shapira antisemitisch angegriffen und zusammengeschlagen. Er ist von einem anderen FU Berlin Studenten erkannt worden, da Lahav sich an seiner Hochschule gegen Antisemitismus einsetzt und durchaus auch medial bekannt ist. Der Angreifer habe Shapira erkannt und unprovoziert angegriffen, er fiel zu Boden wo der Angreifer weiterhin auf ihn eintrat. Shapira kam mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus wo er operiert werden musste. Nun wird die Exmatrikulation des Angreifer gefordert. Gewalt gegen jüdische Menschen gibt es nicht erst seit dem 7. Oktober. Antisemitismus ist in Deutschland unfassbar tief verwurzelt und trotzdem gibt es viel zu wenig Aufklärungs-, Bildungs- und Präventionsarbeit für Angriffe dieser und anderer Art in der Gesellschaft und auch an Hochschulen. Wir verstehen absolut den Drang dem Angreifer nicht mehr auf dem Campus zu begegnen und Studierende schützen zu wollen. Im Folgenden versuchen wir zu skizzieren, wieso Zwangsexmatrikulationen durch das Ordnungsrecht nicht in diesem oder anderen Fällen zum Schutze von Studierenden führen.

Was ist ein Ordnungsrecht?

Die Ursprünge des Ordnungsrechtes an Hochschulen finden sich bereits im Mittelalter als Disziplinarrecht, besonders relevant war es aber während dem Nationalsozialismus um kommunistische, marxistische, sozialdemokratische oder „anti-nationale“ Studierende zu exmatrikulieren. Es war also ein Mittel, um politische Gegner*innen den Hochschulen zu verweisen. Erst 1970, mit Inkrafttreten des Hochschulrahmengesetzes und Änderungen der Landeshochschulgesetze, fiel das Disziplinarrecht weg, jedoch trat ein Ordnungsrecht an seine Stelle. Reiner Geulen und Gerhard Stuby der „Kritischen Justiz“ erklären, dass sich das Ordnungsrecht im Wesentlichen gegen eine Politisierung von Studierenden an Hochschulen, auch schon in Form von Studentenvollversammlungen, richtete. Auch bereits 1970 richtete sich das Ordnungsrecht gegen „Die Verletzung der Universitätsordnung“. Es geht über das Hausrecht hinaus und kann somit zu Sanktionen wie Rügen, Ausschluss von Hochschuleinrichtungen und schließlich Exmatrikulation führen. Berlin ist keine Ausnahme – ein Ordnungsrecht ist in vielen Bundesländern verankert, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Brandenburg sind nur wenige Beispiele. Wir halten demnach alle Studierendenvertretungen an, beschäftigt euch mit dem Ordnungsrecht eures Landes und debattiert in euren Landestreffen und -konferenzen darüber, wie man emanzipatorische und weniger autoritäre Lösungen für Hochschulen finden kann.

Was steht in dem Berliner Entwurf und was könnte das für Studierende bedeuten?

Was der Berliner Senat schändlicherweise vergessen hat, ist dass es bereits die Möglichkeit im Landesparlament gibt, antisemitische Gewalttäter*innen zu exmatrikulieren. Damit ist es nicht nur 

inhaltlich eine schlechte Idee, sondern auch der gewünschte Aspekt des Tokenisms ist damit hin. Vielmehr kann es genutzt werden, um politische Selbstorganisation und die damit verbundene Störung des Hochschulbetriebes durch Besetzungen, Störungen von Sitzungen oder Blockaden dem Campus zu verweisen. Dies ist keine Vermutung, sondern im Berliner Entwurf so verankert. Weiterhin steht im Berliner Entwurf, dass das Begehen von „vorsätzlich begangenen Straftaten, die zu Lasten eines Mitglieds der Hochschule geschehen“ ebenfalls zu einer der Maßnahmen führen kann. Was hier mit Straftat gemeint ist, ist weiterhin unklar. Separat wird nämlich die Anwendung von und der Aufruf zu Gewalt, sowie Bedrohung aufgeführt. Straftat wird nicht definiert und kann somit willkürlich von dem Ordnungsgremium jeder einzelnen Hochschule gedeutet werden. Damit wären Aufrufe zu einer Besetzung oder Slogans wie „Burschis vom Campus pogen“ unvorstellbar, beziehungsweise verfolgbar. „Einrichtungen der Hochschule zu strafbaren Handlungen nutzen oder zu nutzen versucht“ ist ebenfalls untersagt, was z.B. Hörsaalbesetzungen einschließen würde, die unter Hausfriedensbruch fallen können. Ebenfalls ist das vorsätzliche Verletzen der Würde anderer Personen untersagt. Hiermit einher gehen Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen. Diese Taten dürfen ebenfalls kein Umfeld schaffen, was „eine Behinderung des Studiums oder sonstige Tätigkeit dieses Mitglieds“ bedroht. Weiter geht es mit vagen Formulierungen. Denn wenn ASten zum Beispiel vor Burschenschaften oder Professor*innen des Netzwerkes für Wissenschaftsfreiheit warnen wollen, gilt dies dann schon als Anfeindung oder Beleidigung? Können Aussagen wie „Nazis gibt es in jeder Stadt, bildet Banden macht sie platt“ als Einschüchterung oder Aufruf zur Gewalt verstanden werden? Nach Feststellung einer dieser und weiterer Ordnungsverstöße können Rügen, Androhung der Exmatrikulation, Ausschluss der Benutzung von Einrichtungen der Hochschule, Ausschluss von der Teilnahme an einzelnen Lehrveranstaltungen bis zu einem Semester und schließlich die Exmatrikulation als Ordnungsmaßnahme verhängt werden. Besonders zynisch finden wir die Tatsache, dass Diskriminierung nach ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauen, einer Behinderung, Alter oder sexuellen Identität keine Exmatrikulation nach sich ziehen darf. Über all diese Maßnahmen entscheiden soll ein Ordnungsausschuss bestehend aus mindestens einer Student*in und einer Person mit der Befähigung zum Richteramt. Die weitere Zusammensetzung kann jede Hochschule durch ihre Satzung selbst entscheiden. Parität ist also nicht zwingend vorgesehen und auch wie die Mitglieder gewählt oder entsandt werden ist nicht vorgeschrieben.

Mit dem Ausschluss von Lehrformaten oder der Exmatrikulation passiert ein enormer Eingriff in das Ausbildungsgrundrecht. Und nicht nur das, auch schafft damit die Hochschule eine Parallelstruktur zu unserem Strafrecht. Sollten Hochschulen im Falle einer verurteilten Straftat hier das Ordnungsrecht benutzen um eine Doppelbestrafung zu veranlassen, so verstoßen sie gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Gewaltenteilung und des Doppelbestrafungsverbotes. Neben den Konsequenzen für die Hochschulen hat das Ordnungsrecht natürlich maßgeblich Konsequenzen für Studierende. Viele Studierende sind auf Studienfinanzierungen wie BAföG oder Stipendien angewiesen, welche an den Studienstatus gekoppelt sind. In diesen Fällen fiele nicht nur das Recht auf Bildung weg, sondern auch die finanzielle Grundlage. Auch Studierende die als studentische Hilfskraft oder wissenschaftliche Hilfskraft mit Bachelorabschluss an der Hochschule arbeiten, würden Ihren Job und damit ihr Einkommen verlieren. Internationale Studierende oder Studierende ohne deutschen Pass könnten abgeschoben werden, Studierende die eventuell Antrag auf Asyl gestellt haben, hätten hier keine Chance mehr. 

Was soll es bewirken und wieso ist das zweifelhaft? 

Die Berliner Landesregierung argumentiert, dass mit der Einführung des Ordnungsrechtes der Schutz von antisemitischer Gewalt betroffenen Jüdinnen und Juden an Berliner Hochschulen durch Bestrafung und Abschreckung erhöht werden würde. Das Problem welches sich hieraus ergibt ist dieses, dass der menschenfeindliche Charakter des Antisemitismus nicht mit Repressionen bekämpft werden kann. Wichtig zu erwähnen ist, dass es sich hierbei nur um Studierende handelt, sollten andere Hochschulangehörige genannte Ordnungsrechtverstoße begehen, werden hier wiederum andere Disziplinarverfahren verfolgt (oder auch nicht, siehe das Beispiel des Berliner Dozenten, der nach 20 Jahren sexueller Übergriffe erst nach mehreren Wochen der Verhandlungen gekündigt wurde). 

Wenn eine Gewalttat vorgefallen ist, gibt es in Deutschland ein Strafrecht und zum Durchsetzen dieses Strafrechtes sind die Strafverfolgungsbehörden zuständig, nicht die Hochschulen. Wir wissen sehr wohl, dass es legitime und empirisch-basierte Kritik an den deutschen Strafverfolgungsbehörden und dem Justizsystem gibt, wenn es um die Verfolgung von antisemitischer und sexualisierter Gewalt geht, aber diese Kritik würde sich bei der Einführung des Ordnungsrechtes höchstwahrscheinlich nur auf die Hochschulen ausweiten, da diese Teil der deutschen Gesellschaft sind, welche antisemitische und sexualisierte Gewalt begünstigt. So haben auch Hochschulen nicht zu entscheiden, wer eine Straftat begangen hat, sondern Gerichte. Eine Exmatrikulation wird ebenfalls nicht dafür sorgen, dass keine Gewalttaten an den Hochschulen passieren. Eine Exmatrikulation hat keine Wirkmacht darüber, wo sich Menschen auf dem Campus aufhalten. Und anhand des Beispiels des antisemitischen Angriffs wird klar, dass eine Gefährdung nicht an Campusgrenzen aufhört. Stattdessen würde eine einstweilige Verfügung bereits nach Tagen der Beantragung dazu führen können, dass sich Gewalttäter*innen, egal wo, nicht mehr der betroffenen Person nähern dürfen. Ein Verstoß hiergegen kann eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr nach sich ziehen. 

Bei Verstößen, die keine strafrechtlichen Maßnahmen nach sich ziehen würden, kann eine Hochschule bereits durch präventive Maßnahmen entgegenwirken. Möchte man das Begegnen bestimmter Studierender vermeiden, kann es ein Verbot des Besuches bestimmter Vorlesungen geben, möchte man eine störende Person des Platzes verweisen greift das Hausverbot. 

Der Entwurf rüstet sich mit dem Versprechen Betroffene vor Gewalt, auch sexueller Belästigung, zu schützen, ignoriert aber völlig welche anderen Wege es geben muss, damit es gar nicht erst zu Gewalttaten kommt oder damit Betroffene nachhaltig geschützt und begleitet werden.

Was sollten Studierende und Hochschulen stattdessen tun?

Eine Person zu exmatrikulieren, die eine Gewalttat begangen hat, wird nichts an dem Denken oder Handeln dieser Person ändern. Ebenso wird sie, wie oben dargelegt, Betroffene nicht schützen. Wir verstehen den Drang Gewalttäter*innen nicht auf einem Campus haben zu wollen, dies kann und sollte jedoch anders erreicht werden. 

Statt dass Hochschulen sich durch eine Exmatrikulation auf die Schulter klopfen können verantwortungsvoll und heldenhaft im Namen der Betroffenen gehandelt zu haben, muss viel mehr passieren. 

Beratungs- und Meldestellen müssen ausgebaut werden. Für die Angestellten muss es regelmäßige Schulungen und Monitorings geben, interne Diskriminierung in den Abteilungen muss reflektiert und aufgearbeitet werden. Der Zugang zu diesen Stellen muss erleichtert werden, oftmals wissen Studierende gar nicht welche Anlaufstelle für sie da ist, werden weitergereicht oder die Beratungsstellen wissen selbst nicht, wer die Verantwortung in diesem Falle hat. Im schlimmsten Falls werden Studis gänzlich abgewiesen oder hören Phrasen wie „ohne Anzeige können wir leider nichts machen“, was gänzlich ignoriert was Studis erstmals oft brauchen: jemanden der zuhört, glaubt, und vermittelt. Ebenfalls können Hochschulen nicht erst handeln, wenn eine Strafanzeige vorliegt: gerade in Fällen von Vergewaltigung ist es für Betroffene oftmals nicht zumutbar hier den strafrechtlichen Weg zu gehen aufgrund von Re-Traumatisierung und Stigmatisierung. Trotzdem muss es eine Begleitung von Betroffenen geben, die über eine Verweisung an den Ordnungsausschuss hinausgeht. Neben sofortiger psychischer Beratung, zum Beispiel durch die Stellen vom Studierendenwerk vor Ort, muss es einen Plan geben, wie die Betroffenen im Hochschulalltag begleitet werden können. Ob physische Begleitung in Veranstaltungen, Erlass von Prüfungen oder Alternativterminen in Absprache mit Dozierenden und dem Prüfungsamt oder das Einrichten einer Unterstützungsgruppe für die betroffene Person.

Hochschulen müssen sich auch endlich der politischen Debatte an Hochschulen annehmen und aufhören diese weg zu ignorieren, oder die Verantwortung an die Studierendenschaft abzugeben. Hochschulen müssen Mediation und Räume bieten um auch politische Debatten auf dem Campus zu führen, ohne Diskriminierung zu befeuern, zu informieren und aufzuklären statt zu verurteilen oder alleinzulassen. Es müssen ebenfalls Informationsveranstaltungen geschaffen und gefördert werden, die wichtige Aufklärungsarbeit liefern. Genau jene Arbeit die oft von Asten auf ehrenamtlicher Basis organisiert  und zu oft von Hochschulleitungen blockiert wird.

Fazit

Antisemitismus wird nicht dadurch bekämpft, dass wir einzelne Menschen exmatrikulieren, im Zweifel wird das Problem nur außerhalb der Hochschulorte verlagert, Menschen radikalisieren sich aufgrund der Erfahrung oder kehren einfach auf den Campus zurück um Hass und Hetze zu verbreiten. Dies gilt aber nicht nur für Antisemitismus sondern auch Rassismus, Sexismus, sexualisierte Gewalt, Ableismus und vieles mehr. Es ist ein gefährlicher Irrglaube, dass es Hochschulen diskriminierungs- oder gewaltfreier machen würde. Stattdessen ist es nur ein weiterer Anstieg des autoritären Charakter, den Hochschulen erfahren. Die Türen, die wir hier einer rechtskonservativen Regierung öffnen, werden sich nicht mehr schließen lassen. Durch Aufklärungsarbeit, Informationsangebote und emanzipatorische und dem 21. Jahrhundert entsprechende Antidiskriminierungsstellen können wir Diskriminierung und Gewalt entgegenwirken. Zwangsexmatrikulationen sind trügerische Versprechen von Schutz und ein weiteres Zeichen von Faulheit und Ignoranz im Kampfe für eine bessere Welt für alle, auf dem Campus und außerhalb.